Bergerlebnis
- danielabaer
- 13. Okt. 2017
- 3 Min. Lesezeit

Vor dem Gipfel
Es war anstrengender und herausfordernder, als ich es vorhatte, aber das konnte nicht allein Ursache sein für meinen irritierenden Zustand. Ich wollte Gott begegnen und es zog mich unaufhaltsam nach oben zum Gipfel, vorbei an schroffen Felswänden in der gleissenden Sonne und zuletzt noch durch eine beängstigende Kletterpassage auf die Grasfläche hinauf. Meine Erschöpfung war am Zittern meiner Beinmuskeln ablesbar, mir war schwindlig bei der atemberaubenden Weitsicht über alle die vielen majestätischen Gipfel - eine Herrlichkeit - aber momentan bedrohlich, beängstigend. Viel Himmel, viel Luft und kaum Erde unter mir. Wenige Meter neben mir auf der Anhöhe, kinderleicht erreichbar, mein Gipfel, mein greifbares Ziel. Ein Hügelchen vor mir, ein Katzensprung, da wollte ich hin.
Ein kleines Stück Wiese umgeben von Abgründen - alles in mir sträubte sich. Es fühlte sich gerade an wie eine Erlösung, unter dem Gipfel zu stehen und nicht auf ihm. Ich konnte es nicht ertragen, selbst zum höchstgelegensten Punkt zu werden. Alles in mir wollte anlehnen, neben sich etwas Grösseres spüren, sich bergen. Wie gut war das Gefühl, im Schatten eines Berges zu stehen, nicht exponiert, nicht auf seiner Spitze. In mir wehrte es sich, diesen Schatten zu verlassen, übermächtig das Gefühl von Überforderung, Angst, Panik - irrational.
Mein Verstand belächelte die Situation: Du wirst es ein Leben lang bereuen, nicht oben gewesen zu sein nach diesem langen Marsch. Aber ich bin Mensch, nicht Kopf. Ich musste und wollte kapitulieren, die 20 Meter innerer Kampf schaffte ich nicht und blieb, wo ich war, gedemütigt von mir selbst und meinem inneren Treiber, die ganze Nacht ringend um Vertrauen, mein Urvertrauen in mir, während der Wind an mir zog und die Erde zu wanken schien.
Schon lange ging es nicht mehr um den Sieg des bezwungenen Berges, sondern was in meinem Herzen passierte, mein Herz, das ich seit einer Zeit so fest und stark erlebte und nun so zitterte und sich fast auflösen wollte. Doch ich kenne inzwischen die Stimme in mir, die für mich kämpft, mein Bestes will und mir so innig vertraut geworden ist. 'Vertraust du mir', hörte ich immer wieder, 'vertraust du mir, wenn deine Macht und Kraft versagt, wenn du die Kontrolle verlierst, wenn du ganz ausgeliefert bist - willst du dich ganz ausliefern und mir wirklich vertrauen?'
Bankrotterklärung für meinen Glauben, dem ich so vertraute, den Frieden, die Sicherheit verloren. Von Neuem muss ich ihn suchen - nicht nur als Gedanke, es geht tiefer. Ich schreie, ich bäume mich auf, ich werfe mich auf ihn. Der Übergang von der sichtbaren Realität zur der geistlichen Wirklichkeit, der Rand der Erde, da wo der Himmel beginnt, lässt uns selbst in einem andern Licht erscheinen. Wie klein und schwach bin ich in Wahrheit, nichts in der Hand. Wie gross sind schon nur diese Berge um mich!
Aber wohin mein Geist sich richtet, verändert es diese Wirklichkeit vom Dunkel ins Licht und gnädig lässt er es leuchten. Die Schmetterlinge fürchten sich nicht vor der Höhe, sind so fein und zerbrechlich. Die ganze Schöpfung beginnt zu sprechen und zu singen von der Leichtigkeit, von der Schönheit, die niemand festhalten kann, aber die gefestigt und festgemacht ist durch ihren Schöpfer. Ihn anzuschauen, wendet das Blatt. Eine Lebenslektion meines himmlischen Vaters extra für mich, meinen starken Willen, und meine Menschenkraft: Mensch, dir sind Grenzen gesetzt, über die kommst du nur, wenn ich es will und du dich führen lässt. Bleibe in meinem Schatten!
Am andern Morgen nach den ersten Schritten verflog der Spuk wie ein Alptraum beim Erwachen, der Wind stoppte unerklärlich, der Weg, obwohl in schwierigerer Richtung, plötzlich ein Kinderspiel, ein Spaziergang, eine Lächerlichkeit. Soll ich doch noch zurück auf den Gipfel? Wie absurd - in kleines Zeichen, dass mein Stolz noch lebt. In mir ist eine tiefe Ehrfurcht entstanden. Ich will das Erlebnis so unvollkommen bewahren, wie es war, denn es soll mich zukünftig erinnern: Ich bin abhängig von ihm auf jedem Schritt.
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